Die DDR war das Land, in dem der Weltgeist zu sich selbst kommen musste. Und Alexander Abusch war sein Prophet. Gern kam er nach Weimar, dem Ort der obligaten Humanisten-Ehrungen. Schiller, 1959: Von ihm sollten die Bürger der DDR sich "beflügeln und erheben lassen . . . für die neue sozialistische Epoche der Menschheit, die auch er vorausgeahnt hat. " Shakespeare, 1964: Auf dass "der gewaltige Strom seines Genius voll einmündet in unsere Kultur des sozialistischen Humanismus." Der Kulturpolitiker Abusch kam mit besonderer Neigung nach Thüringen auch deswegen, weil er hier wie zuvor in seiner bayerischen Heimat in den zwanziger Jahren als Funktionär und Redakteur der KPD gewirkt hatte. 400 Jahre deutscher Bauernkrieg hatte er 1925 in Mühlhausen erlebt, "unter dem roten Stern des Bündnisses der Arbeiterbewegung mit den schaffenden Bauern". 50 Jahre später, Thomas-Müntzer-Gedenken 1975: "Es ist der geistige Anspruch auf dieses revolutionäre Erbe, der das Leben und Streben des Vol kes der DDR bewegt", schrieb er nun. "In der Entscheidung der Klassenkämpfe über die zwei Wege der Geschichte" in Deutschland sollten es die östlichen Enkel jetzt besser ausfechten. Hölderlin, Goethe, Hauptmann, Heinrich und Thomas Mann, Gorki - alle groß Denkenden sah er bei ihnen.Der literarisch gebildete Abusch, heute vor 100 Jahren in Krakau in der jüdischen Familie eines Kutschers und Schrott-händlers geboren und von Jugend an Berufsrevolutionär, stand für die "erfüllungsideologische" Erbe-Konzeption der SED, wie sie in den ersten beiden DDR-Jahrzehnten herrschend war. Sie wurde von der nachrückenden Generation seit den Siebzigern kritisch in Frage gestellt, offiziell aber bis zum Untergang des Staates nicht aufgekündigt. Die Programmschrift hatte Abusch in Mexiko verfasst, wohin der zeitweilige Chefredakteur der "Roten Fahne" vor den Nazis fliehen musste: In dem Buch "Der Irrweg einer Nation" erscheint der "eine Weg" der deutschen Geschichte von Luther über Friedrich den Großen, Bismarck bis zu Hitler als eine einzige Fehlentwicklung. Und die Arbeiterklasse, verbunden mit allen Gutwilligen, sei berufen die "deutsche Misere" aufzuheben.Dieser "zweite Weg" bot der Aufbaugeneration schwungvolle Vermittlungen zwischen Ideal und Wirklichkeit an. Die dunklen Seiten der Geschichte verwies Abusch in die Verantwortung der feindlichen Klassen; dass konservatives, auch restauratives Denken und die bürgerliche Moderne auch zum Erbe gehören könnten, schloß er aus. Abusch aber mußte um diesen ideologischen (Selbst)Betrug wissen - spätestens 1950, als er am eigenen Leibe die stalinistische Bedrohung kennenlernte. Im Zuge der Säuberungsaktionen gegen zumeist kommunistische und dazu jüdische "Westemigranten", die zu den Schauprozessen in Ungarn und der Tschechoslowakei führten, wurde er "zionistischer" Umtriebe verdächtigt. Man unterstellte ihm Verbindungen zu dem Emigrantenhelfer Noel H. Field, der wahrheitswidrig zum US-Oberspion erklärt worden war. Abusch verlor seine Ämter in der SED-Führung und im Kulturbund, wurde unter Hausarrest gestellt. "Ich bin in einer verzweifelten Situation", schrieb er am 10. Juli 1950 an Wilhelm Pieck und beteuerte am gleichen Tag in einer Zehnpunkteerklärung an die Zentrale Parteikontroll-Kommission, Field "niemals persönlich gesehen oder gesprochen" zu haben.Im Sommer 1951 konnte Abusch seine Arbeit im Präsidialrat des Kulturbunds wieder aufnehmen. Becher setzte im September 1952 gegen Widerstände seine Aufnahme in die Akademie der Künste und schon im Dezember seine Wahl zum Sekretär der Sektion Dichtkunst und Sprachpflege durch. Es geschah nicht uneigennützig: Becher sollte bald darauf den auch "zionismusverdächtigen", bürgerlichen Arnold Zweig als Akademiepräsident ablösen, er bestand auf Abusch an seiner Seite, mit dem er zu diesem Zeitpunkt die klassizistische Kunstauffassung teilte.Was Becher nicht wußte: Alexander Abusch hatte im März 1951 ein Kontaktgespräch mit Erich Mielke und sich im Mai verpflichtet, den Akademiedirektor Rudolf Engel sowie das Journalistenehepaar Kurt und Jeanne Stern auszuspionieren ("Ich führe diesen Auftrag als speziellen Parteiauftrag durch"). Bis zum Oktober 1956 schrieb er über 20 Berichte. Von Matthias Braun, der sie in der Birthler-Behörde ausgewertet hat und im Sommer in einem Buch über die Zeitschrift "Sinn und Form" näher darauf zu sprechen kommen will, war in Vorträgen zu hören: Es handelt sich teils um minutiöse, ja literarisierte Tagungsberichte. So etwa über eine tumultuarische Akademiedebatte um Abuschs "Sinn und Form"-Artikel gegen Hanns Eislers "Faustus"-Libretto. Eisler hatte die Faust-Figur als einen vor der Geschichte versagenden deutschen Intellektuellen dargestellt und Abusch notierte als Geheimer Informant "Ernst" seine eigene Schmach: "Brecht schrie zu Abusch: ,Ihr Artikel ist ein Geschmiere, aber Eislers Dichtung ist ein großes Kunstwerk! " Abusch denunzierte Arnold Zweig, Anna Seghers und in einem 30seitigen Papier seinen KPD-Chef aus dem Exil, Paul Merker, den Ulbricht als Field-Komplizen aburteilen lassen wollte. Abusch stützte auch die spätere Anklage, Merker, der sich für eine Entschädigung jüdischer Opfer einsetzte, handele "im Interesse der zionistischen Agentur des Monopolkapitals. " Er ging dabei nach der Methode vor, sich selbst "schwerer ideologischer Fehler" zu bezichtigen, als Chefredakteur des "Freien Deutschland" in Mexiko Merker publizistischen Raum geboten zu haben - um ihn dann umso stärker zu belasten. Das wiederholte er als Belastungszeuge in dem Geheimprozess gegen Merker.Abuschs Karriere setzte sich steil fort: 1954 wurde er stellvertetender Kulturminister, 1956 Staatssekretär, Ende 1958 Kulturminister als Nachfolger des unter Parteikritik geratenen Becher. Von 1961 bis 1971 war er dann stellvertetender Vorsitzender des Ministerrates. In all diesen Funktionärsjahren und danach erlebte man das ZK-Mitglied Abusch in der Akademie der Künste als einen linientreuen Dogmatiker. Er exponierte sich in den Formalismus-Debatten der 50-er Jahre. Er tat alles, um die von Fritz Cremer und Stephan Hermlin angeregten Aufbrüche junger Kunstler und junger Lyriker niederzudiskutieren. Er betrieb mit Vehemenz die Absetzung des "kosmopolitischen" Peter Huchel als Chefredakteur der Zeitschrift "Sinn und Form" und machte dessen schließliche Ausreise nach Italien vom Verzicht auf eine verbriefte Zusatzrente abhängig. "Kategorisch" lehnte er 1976 den Heinrich Mann-Preis für Klaus Schlesinger ab ( ". . . dessen Novelle ,Alte Filme ich für den letzten ideologisch-literarischen Mist halte. . . ").Becher, der ihm in größter Bedrängnis geholfen hatte, trug schwer daran, dass Abusch sich am Ende auch gegen ihn stellte. Er verachtete den einstigen Freund. Der Germanist Rolf Harder, damals im Becher-, heute im Brecht-Archiv der Akademie, erinnert sich an eindeutige, leise Bemerkungen Lilly Bechers dazu. Die Witwe verwahrte in einem Tresor Gedichte aus den Jahren 1956/57, die Bechers tiefe Resignation in Gleichnissen ausdrücken. Sie versah sie mit handschriftlichen Anmerkungen. Eines heißt "Der Jäger": Ich bin ein Wild, der Jäger hats erlegt, / Und um mich her ver- sammelt sich die Meute. / Gewisse Leute: "Seht, welch eine Beute!" / So kläffen sie. Der Jäger schweigt erregt.Denn er, der Jäger, war er nicht einst Wild / Und fiel gehetzt der Meute auch zur Beute? / Nun sieht er in dem Wild sein Gegenbild / Und schweigt beredt zu dem Gekläff der Leute.Unter die Überschrift setzte Lilly Becher ein erklärendes A. A.Am 27. Januar 1982 ist Alexander Abusch in Berlin gestorben. Der offizielle Nachruf der Akademie der Künste der DDR würdigte seinen "entscheidenden Kampf gegen revisionistische und dogmatische Auffassungen. " Das "Neue Deutschland" titelte seinen Nachruf: "Vollendung wissend in den Taten der heutigen und künftiger Generationen."Wir alle wollen unser großes Ja sagen zur sozialistischen Freiheit auf deutschem Boden und in der Welt. " Alexander Abusch.BERLINER VERLAG Alexander Abusch im Atelier des Bildhauers Gerhard Rommel, Mai 1972