Russland

Kommentar: Wir Deutschen genießen in Russland Respekt – nicht nur, weil Putin für Deutschland schwärmt

Trotz Ukrainekrieg und Propaganda: Die Deutschen genießen in Russland immer noch eine gute Reputation. Das macht unserer Autorin Hoffnung.

Passagiere neben dem Hochgeschwindigkeitszug Sapsan auf dem Bahnsteig des Leningrader Bahnhofs in Moskau. Symbolbild.
Passagiere neben dem Hochgeschwindigkeitszug Sapsan auf dem Bahnsteig des Leningrader Bahnhofs in Moskau. Symbolbild.Russian Look/imago

Als ich am 26. Dezember am Flughafen Mineralnyje Wody im russischen Nordkaukasus lande, füllen sich meine Augen mit Tränen. Ich bin wieder in meinem Heimatland, das ich vor knapp drei Jahren freiwillig für Deutschland verlassen habe. Ich freue mich auf meine Familie, auf die kommenden Feiertage. Aber vor allem bin ich sehr traurig: über den Ukrainekrieg, über den Abgrund, in den die russische Regierung mit diesem dramatischen Fehler mein Land getrieben hat, über die Zerstörung der zeitweise guten deutsch-russischen Beziehungen.

Kurz vor der Abreise nach Russland hatte ich meinen deutschen Reisepass abgeholt, denn ich bin jetzt offiziell Deutsche! Deutsch fühlte ich mich eigentlich schon lange, noch bevor ich Anfang Dezember eingebürgert wurde. So fühle ich mich, selbst wenn ich für einige Mitbürger für immer nur Russin bleiben werde. Egal! Mit der doppelten Staatsbürgerschaft wollte ich ein Zeichen setzen und zeigen, dass noch nicht alles verloren ist. Auch wenn das Image der Russen in Deutschland spätestens seit dem 24. Februar 2022 Schaden genommen hat und viele Deutsche uns Russen gerade als Bedrohung empfinden.

Langes Warten auf einen Reisepass-Abholtermin soll bald passé sein: Ausweisdokumente können dann an einer Art Packstation abgeholt werden.
Langes Warten auf einen Reisepass-Abholtermin soll bald passé sein: Ausweisdokumente können dann an einer Art Packstation abgeholt werden.Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Der deutsche Pass ist in Russland noch ein „guter“ Pass

Und die Russen: Sehen sie die Deutschen auch als Bedrohung? Der öffentliche Diskurs in Deutschland wird dort sehr schnell wahrgenommen – Stichwörter „deutsche Panzer vor der russischen Grenze“, mögliche Taurus-Lieferungen oder Annalena Baerbocks „Kriegserklärung“ an Russland (die sie später korrigierte). Wegen Napoleon, aber vor allem Hitler sitzen die Urängste in den Russen sehr tief. Das macht sie leichtgläubig – zudem gibt es unter den Propagandisten einige radikale Deutschland-Hasser, die Deutschland „entnazifizieren“ wollen.

Bei der Passkontrolle bin ich auf alles gefasst. „Was machen Sie in Deutschland?“, fragt mich der Grenzbeamte, als ich ihm sage, dass ich aus Berlin komme. „Ich lebe dort“, sage ich ruhig. „Haben Sie auch Papiere?“ Ich zeige ihm meinen neuen deutschen Reisepass, er lächelt zufrieden, macht eine Kopie davon und ... stellt mir keine weiteren Fragen. Im ersten Kriegsjahr hatte einer seiner Kollegen mich sogar noch dafür gegrillt, dass ich noch nicht in den Besitz eines deutschen Passes gekommen war, als wäre er an meiner Stelle schlauer gewesen. Ich kenne Russen mit amerikanischen Pässen, die „zu Gesprächen“ mit Grenzbeamten geladen wurden. Der deutsche Pass ist noch ein „guter“ Pass, man lässt mich in Ruhe.

Die Erfahrung machen auch viele „biodeutsche“ Freunde und Bekannte von mir in Russland. „Ja, wir Deutschen werden nach wie vor respektiert“, sagt mir ein Unternehmer, der ab und zu nach Russland reist. Er habe in Moskau und im Süden ähnliche Erfahrungen gemacht. Du merkst irgendwie, dass du von den Menschen dort meistens – Ausnahmen gibt es überall – besonders gut behandelt wirst: mit einer gesunden Dosis Neugier und vor allem: mit Respekt.

Moskau: Dokumentenkontrolle am Bahnsteig des Leningrader Bahnhofs
Moskau: Dokumentenkontrolle am Bahnsteig des Leningrader BahnhofsRussian Look/imago

Made in Germany wird in Russland immer noch mit guter Qualität verbunden

Als ein deutscher Freund von mir im Oktober 2023 nach Moskau zum ersten Mal mit einem elektronischen Visum einreist, will der Grenzbeamte von ihm lediglich wissen, welche Städte er besucht. Im Sapsan-Zug nach St. Petersburg wird er auf gutem Deutsch von Geschäftsleuten angesprochen, die nostalgisch über die frühere Zusammenarbeit mit den Deutschen berichten. Auf den Fensterscheiben sieht man noch die alte Siemens-Markierung: Der Schnellzug wurde von Deutschen gebaut. Deutsche Autos, deutsches Bier, deutsche Waren generell werden in Russland immer noch geschätzt. Deutsche Autos sind allerdings anders als Lebensmittel eine echte Mangelware: Neue VW-, BMW- oder Mercedes-Modelle sieht man auf den russischen Straßen immer seltener, dafür aber deutlich mehr chinesische Importe.

Es kann sein, dass andere Menschen auch andere Erfahrungen gemacht haben. Eine Umfrage des russischen Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum vom Mai 2024 ergab, dass 62 Prozent der Russen Deutschland als „feindliches Land“ sehen. Noch 2019 war es umgekehrt: 61 Prozent der russischen Bevölkerung hatten ein gutes oder eher gutes Bild von Deutschland.

500 Jahre deutsch-russische Geschichte lassen sich nicht einfach ausradieren

Das neue Deutschland-Bild der Russen wird auch von beispiellosen Wirtschaftssanktionen geprägt. Allerdings handelt es sich dabei eher um die Einstellung gegenüber dem deutschen Staat und nicht gegenüber den Menschen, die dort leben. Zum Vergleich: Laut einer Umfrage von Infratest dimap im Oktober 2022 sahen 88 Prozent der Westdeutschen und 77 Prozent der Ostdeutschen Russland als Bedrohung für die weltweite Sicherheit an. 25 Prozent der Ostdeutschen gaben allerdings zu, dass sie mit Russland noch kulturell verbunden sind.

Vielleicht ist es wirklich nur noch das Nostalgische, das die russische Affinität zur deutschen Kultur oder zum deutschen Volk erklärt. Die 500 Jahre alte gemeinsame Geschichte lässt sich nicht so einfach ausradieren. Bei vielen ist auch die Hoffnung lebendig, dass bessere Zeiten noch kommen werden.

Man hört aus Kreisen, dass selbst der Kreml-Chef Wladimir Putin sich selbst noch als „germanophil“ sieht und von guten Beziehungen zu Deutschland träumt – obwohl ihn viele als den Hauptverantwortlichen für die Zerstörung der Beziehungen ansehen. Dass die Russen die Deutschen mögen, hat aber weniger mit Putins Träumen und mehr mit der mehrheitlich europäisch geprägten russischen Kultur zu tun. China wird in Russland zwar als Partner respektiert und geschätzt. Kulturell bleibt man einander aber noch fremd.

Viele Russen erleben die Verschlechterung der deutsch-russischen Beziehungen generell wie eine Naturkatastrophe, nicht von Menschen gemacht, eher wie das Resultat eines Erdbebens. Das macht das Desaster womöglich emotional erträglicher.

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